- slowakische Literatur
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die Literatur in slowakischer Sprache. - Da - neben der lateinischen Sprache - seit dem 15. Jahrhundert die tschechische Schriftsprache verwendet wurde, ab dem 16. Jahrhundert (Kralitzer Bibel) als Bibeltschechisch (bibličtina) bezeichnet, gab es zunächst nur eine mündlich überlieferte Volksliteratur (Lieder, Sprichwörter, Märchen). Seit Anfang des 17. Jahrhunderts veranlasste der Bedarf an religiösen Liedern und Büchern einige Geistliche zu Übersetzungen in die Volkssprache. Der katholische Domherr Jozef Ignác Bajza (* 1755, ✝ 1836) forderte ihre allgemeine Verwendung und verfasste in ihr anakreontische Dichtungen sowie Epigramme. Um 1790 schuf Antonin Bernolák (* 1762, ✝ 1813) auf der Grundlage des westslowakischen Dialekts eine Literatursprache, die jedoch nur in den klassizistischen Werken (Idyllen, Elegien, Oden, Epen) und Übersetzungen von J. Hollý sowie in den volkserzieherischen Werken von Juraj Fándly (* 1750, ✝ 1811) Verwendung fand. Erst im Zeichen des Panslawismus, dessen wichtige Vertreter P. J. Šafárik und J. Kollár waren, schufen L'. Štúr sowie J. M. Hurban und M. M. Hodža eine auf dem mittelslowakischen Dialekt beruhende Schriftsprache, die von den Dichtern der Romantik übernommen wurde, v. a. J. Král', A. Sládkovič, S. Chalupka, Ján Botto (* 1829, ✝ 1881) und J. Kalinčiak, dessen Spätwerk schon realistische Züge zeigt.Mit der verstärkten Hinwendung zu aktuell-sozialer Thematik fand die slowakische Literatur in den 1870er-Jahren, auch unter dem Einfluss russischer und westeuropäischer Vorbilder, zum Realismus. Bedeutend sind der Lyriker und Erzähler S. Hurban-Vajanský und v. a. der Lyriker und Versepiker Hviezdoslav, der hervorragende Komposition mit Reflexion und realistischer Detailbeschreibung verband. Als Höhepunkt der realistischen Prosa mit sozialkritischer Tendenz gelten die Romane und Erzählungen von M. Kukučín. Ihm folgten Elena Maróthy-Šoltésová (* 1855, ✝ 1939) mit Dorfgeschichten sowie Romanen und Skizzen über die Emanzipationsproblematik, Terézia Vansová mit moralisch geprägter Prosa und Dramen sowie Timrava mit Erzählungen aus dem dörflichen und kleinstädtischen Milieu. Von dokumentarischer Genauigkeit sind die in Kolorit und Charakterzeichnung an L. N. Tolstoj, A. P. Tschechow und M. Gorkij geschulten Dorferzählungen von Jozef Gregor-Tajovský (* 1874, ✝ 1940), der auch mit differenziert angelegten Dramen hervortrat. Vom europäischen Naturalismus beeinflusst sind die gesellschaftskritischen historischen Romane und Novellen des Arztes Jégé. Themen der existenziellen Angst und Vereinsamung gestaltete die Lyrik I. Kraskos (Sammlung »Nox et solitudo«, 1909) und J. Jesenskýs, in deren Werk die slowakische Moderne ihren Höhepunkt erreichte. Mit seinem lyrischen Frühwerk gehörte der slowakischen Moderne auch M. Rázus an, der jedoch nach 1918 in Lyrik und Prosa zu eher nationalen und zeitkritischen Themen fand.Die avantgardistische und proletarische Literatur nach 1920 suchte neue Formen und Inhalte. Neben Einflüssen des tschechischen Poetismus und des Proletkults wirkten westeuropäische avantgardistische Strömungen auf die slowakische Zwischenkriegsliteratur, deren linke Vertreter sich in der Zeitschrift »DAV« (1924-26, 1929, 1931-37) ihr Publikationsorgan schufen. Die »Davisten«, v. a. die Konzeptionsbildner Vladimír Clementis (* 1902, ✝ 1952) und Eduard Urx (* 1903, ✝ 1942) sowie die Lyriker L. Novomeský und J. Poničan, nahmen Impulse des Dadaismus, Kubismus und Futurismus auf. Der Vitalismus prägte sich im Frühwerk von J. Smrek, der Poetismus hauptsächlich in Novomeskýs Gedichtband »Romboid« (1932) aus. Die Katholische Moderne verknüpfte im Sinne des französischen Abbé H. Bremond religiöse und poetische Erfahrung miteinander und nutzte verstärkt mystische Elemente (Pavol G. Hlbina, * 1908, ✝ 1977; R. Dilong; J. Silan; K. Strmeň u. a.); sie wurde 1945 gespalten, überlebte als Gruppierung nur im Exil und Dissens. Die Gruppe der Surrealisten, auch als A 38 beziehungsweise Avantgarda 38 bezeichnet, formierte sich kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, u. a. Rudolf Fabry (* 1915, ✝ 1982), V. Reisel, Š. Žáry und P. Bunčák. In engem Kontakt zu den französischen und tschechischen Surrealisten entstanden, nannte sie sich ab 1939 »Nadrealizmus«, war antitraditionalistisch, modernisierte das poetische Arsenal, setzte in der slowakischen Lyrik den freien Vers durch und brachte die Metaphorik zu hoher Vollendung; sie wurde in der Stalinzeit als »formalistisch« bekämpft. - Die Prosa setzte die realistische Tendenz fort, nahm aber im Werk M. Urbans, J. C. Hronskýs, Tido Jozef Gašpars (* 1893, ✝ 1972) und Ján Hrušovskýs (* 1892, ✝ 1975) auch impressionistische und expressionistische Elemente auf. Die lyrische Prosa, auch als »Naturismus« bezeichnet, wurde als Gruppierung von Mitte der 30er- bis Mitte der 40er-Jahre (D. Chrobák; M. Figuli; L'udo Ondrejov, * 1901, ✝ 1962; F. Švantner) zu einer entwicklungsbestimmenden Erscheinung, betonte die Bildhaftigkeit und Expressivität der Sprache. Durchaus autochthon entstanden, wandte sie sich unter dem Eindruck der Skandinavier K. Hamsun, Selma Lagerlöf, Sigrid Undset sowie der französischen und Schweizer Regionalliteratur von J. Giono, C. F. Ramuz und H. Pourrat vor allem der Natur und der heimatlichen Landschaft zu, griff aber auch antifaschistische und historische Themen auf. Als Dramatiker traten I. Stodola, Július Barč-Ivan (* 1909, ✝ 1953) und Štefan Králik (* 1909, ✝ 1983) hervor.Nach dem Umsturz von 1948 wurde der sozialistische Realismus, zu dem sich P. Jilemnický in seinen sozial betonten Werken bereits in den 30er-Jahren bekannt hatte, zur offiziellen Literaturdoktrin erklärt und fand in den Werken von F. Hečko, Katarína Lazarová (* 1914), F. Král' u. a. seinen Niederschlag. Viele Autoren behandelten die Erfahrung des Krieges, den Partisanenkampf und den slowakischen Volksaufstand von 1944 (Jilemnický; R. Jašík; L. Ťažký; P. Karvaš; Alfonz Bednár, * 1914, ✝ 1987; Poničan; Andrej Plávka, * 1907, ✝ 1982; Vojtech Mihálik, * 1926; Žáry) oder die Zeit des »slowakischen Staates« 1939-44 (D. Tatarka, »Farská republika«, 1948; V. Mináč »Generácia«, 1958-61; L. Mňačko, »Smrt' sa volá Engelchen«, 1959). Mit der Holocaust-Problematik befassten sich Ladislav Grosman (* 1921, ✝ 1981) und Jozef Lánik (* 1918). - Ab der 2. Hälfte der 50er-Jahre wandte man sich von den vereinfachenden Konstruktionen und literarischen Klischees ab und orientierte sich auf der Suche nach neuen Ausdrucksmitteln an westlichen Vorbildern (J. Joyce, M. Proust, F. Kafka; Nouveau Roman), so v. a. die Vertreter der »Generation 56« (P. Jaroš; Jozef Kot, * 1936; J. Lenčo; J. Johanides; Jaroslava Blažková; A. Hykisch), später Pavel Hrúz (* 1941), Dušan Mitana (* 1946). Hinzu kam die Kritik am Stalinismus: M. Rúfus (»Až dozrieme«, 1956), Tatarka (»Démon súhlasu«, 1956, als Buch 1963), Mňačko (»Ako chutí moc«, 1968). - In der Lyrik wurden Verfahren des Surrealismus, Poetismus u. a. avantgardistische Strömungen reaktiviert (Reisel; Rúfus; Albert Marenčín, * 1922). Es formierten sich neue Gruppen, u. a. Ende der 50er-Jahre »Trnavská skupina«, zu der u. a. Ján Stacho (* 1936), Ján Ondruš (* 1932), L'ubomír Feldek (* 1936) und Jozef Mihalkovič (* 1935) gehörten. Diese Lyriker, die auch als Konkretisten (konkretisti) oder expressive Sensualisten (expresívni senzualisti) bezeichnet werden, griffen auf den Surrealismus und Poetismus zurück und forderten, wie die 1964 konstituierte Gruppe der »Osamelí bežci« (einsame Läufer) mit Ivan Laučík (* 1944), Ivan Štrpka (* 1944) und Peter Repka (* 1944), eine Entideologisierung der Poesie. Autoren wie R. Sloboda, Johanides, Hykisch, Pavel Vilikovský (* 1941), Peter Balgha (* 1935, ✝ 1972) und Hrúz äußerten in ihren Prosawerken Zweifel am herrschenden System, machten die Zerstörung moralischer Werte und Deformationen menschlicher Charaktere sichtbar. In der Dramatik bestimmte v. a. Karvaš mit seinen Stücken und Hörspielen sowie mit seinen theoretischen Anschauungen die Entwicklung, neben ihm erlangten lediglich Ivan Bukovčan (* 1921, ✝ 1975) und Osvald Zahradník (* 1932) im Ausland eine stärkere Resonanz.Nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts im August 1968 trat im literarischen Schaffen eine merkliche Stagnation ein. Die offizielle Literatur kehrte im Zuge der »Normalisierung« zum sozialistischen Realismus zurück. Einige Autoren emigrierten (Mňačko, Jaroslava Blažková), andere wurden verfolgt und in ihrer Arbeit behindert (Publikationsverbot für Tatarka, einen der wenigen slowakischen Unterzeichner der »Charta 77«; Hana Ponická, * 1922; Balgha; Hrúz; I. Kadlečík u. a.), verstummten oder veröffentlichten im Samisdat oder im Ausland. Auch mehrere Literaturzeitschriften wurden verboten, u. a. »Kultúrny život« (1968) und »Mladá fronta« (1970). Trotz dieser Repressionen und Erschwernisse kam es jedoch insgesamt nicht zu solch folgenschweren Unterdrückungen und Diffamierungen von Autoren wie bei den Tschechen. Im Laufe der Zeit kehrten auch einige der Autoren in das offizielle literarische Leben zurück. Auch Werke, die nicht der offiziellen Linie entsprachen, wurden mit der Zeit am Rande geduldet.In der Prosa dieser Zeit stellte Hana Ponická in ihrem autobiographischen Roman »Lukavické zápisky« (Toronto 1989) die Konfrontation mit der Staatsmacht dar. Zentrales Thema der Romane Slobodas ist die Zerstörung der menschlichen Identität durch die Gesellschaft. Mitana, Dušan Dušek (* 1946), Jozef Puškás (* 1951) und Johanides beleuchteten im Streben nach Authentizität die Verhältnisse im »realen Sozialismus« ebenfalls kritisch. Eine Reihe von Autoren wandte sich historischen Themen zu, u. a. Jaroš, V. Šikula und Ladislav Ballek (* 1941), die sich um ein differenzierteres Bild slowakischer Gesellschaftsentwicklung im 20. Jahrhundert bemühten, ferner Lenčo und Hykisch. - In der Lyrik traten v. a. Ján Buzássy (* 1935) und Štefan Strážay (* 1940) mit konkreter Poesie hervor und beschäftigten sich, wie auch Ján Štrasser (* 1946) und Daniel Hevier (* 1955), mit Fragen der menschlichen Existenz. M. Válek behandelte in seiner Lyrik aktuelle gesellschaftliche Probleme. Štefan Moravčík (* 1943) wendet sich in seiner experimentellen Poesie dem Individuum zu, das die Verantwortung gegenüber der Geschichte ablehnt und seine Identität in uneingeschränkter Erotik sucht.Im Zuge der Reformpolitik M. S. Gorbatschows kam es zu einer weiteren Liberalisierung der Kulturpolitik, und es wurde die Forderung nach einer neuen Wertung der slowakischen Literatur aus nationaler und internationaler Sicht gestellt. Nach der »sanften Revolution« im November 1989 wurden bis dahin mit Publikationsverbot belegte oder in Vergessenheit geratene Autoren reintegriert, so Tatarka, Mňačko, Hana Ponická und Jaroslava Blažková sowie die Autoren der Katholischen Moderne, u. a. Dilong, J. Silan; bisher verbotene Zeitschriften (»Kultúrny život«) oder illegal verbreitete (»Fragment K«) konnten wieder erscheinen.Š. Krčméry: Dejiny literatúry slovenskej, 2 Bde. (ebd.1976);J. Števček: Moderný slovenský román (Preßburg 1983);Encyklopédia slovenských spisovatel'ov, 2 Bde. (ebd. 1984);I. Sulík: Kapitoly o súčasnej próze (ebd. 1985);M. Bátorová u. a.: Biele miesta v slovenskej literatúre (ebd. 1990);P. Zajac: Auf den Taubenfüßchen der Lit. Ein Buch über s. L. u. Kultur (1996);S. Šmatlák: Dejiny slovensky literatúry, 2 Bde. (Preßburg 1997-98);R. Lesnák: Listy z podzemia. Krest'anské samizdaty 1945-1989 (ebd. 1998).
Universal-Lexikon. 2012.